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Indien: Die stille Kraft eines Wachstumslandes

Niro N. Bathija, HRK Lunis

Von Niro N. Bathija, Senior Client Portfolio Manager bei HRK LUNIS

Auch wenn Indien aktuell wie fast jedes Land im Zoll-Clinch mit den USA liegt, ist seine wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr aufzuhalten. Der asiatische Subkontinent hat sich von einem Schwellenland zu einer der dynamischsten Volkswirtschaften der Welt entwickelt – mit einem robusten Binnenmarkt, einer jungen Bevölkerung und einer zunehmend globalen Rolle. Für Kapitalanleger bietet Indien damit enorme Chancen, stellt sie aber auch vor komplexe Herausforderungen.

Mit über 1,4 Milliarden Einwohnern ist Indien seit 2023 das bevölkerungsreichste Land der Welt. Das Durchschnittsalter liegt bei nur 28 Jahren – ein demografischer Vorteil, der in den kommenden Jahrzehnten für nachhaltiges Wachstum sorgen dürfte. Die Erwerbsbevölkerung wächst jährlich um Millionen, und die Mittelschicht wird bis 2030 voraussichtlich um 400 Millionen Menschen anwachsen. Diese demografische „Dividende“ ist nicht nur ein Konsumtreiber, sondern auch ein Fundament für Innovation, Unternehmertum und Produktivität. Besonders bemerkenswert ist, dass Frauen in ländlichen Regionen zunehmend wirtschaftlich aktiv werden.  Hier helfen vor allem die Investitionen in eine bessere Infrastruktur wie Elektrizität oder Wasserversorgung, die die unternehmerischen Ambitionen der Inderinnen unterstützen.

Digital im ganzen Land

Der Subkontinent hat in den letzten Jahren eine digitale Transformation vollzogen, die weltweit ihresgleichen sucht. Das Zahlungssystem UPI (Unified Payments Interface) ermöglicht Milliarden bargeldloser Transaktionen pro Monat – selbst Straßenverkäufer akzeptieren Zahlungen per QR-Code. Die digitale Identität „Aadhaar“ ist mit Bankkonten und Mobilnummern verknüpft und bildet das Rückgrat für staatliche Transfers und Finanzdienstleistungen. Parallel dazu wurden tiefgreifende Reformen umgesetzt: Steuervereinheitlichung (GST), Arbeitsrechtsreformen, digitale Verwaltung und Investitionsanreize für die Industrie. Diese Maßnahmen haben die Effizienz gesteigert und die Grundlage für einen Wachstumsschub gelegt. Nach einem Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent im Jahr 2024 wird für dieses Jahr ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 6,2 Prozent erwartet.
Die Inflation ist rückläufig, die Verbraucherstimmung stabil, und die Staatsausgaben bleiben hoch. Besonders der private Konsum zeigt eine starke Dynamik, unterstützt durch Steuererleichterungen und gezielte Transferprogramme. Indien bleibt damit die wachstumsstärkste große Volkswirtschaft der Welt. Schätzungen gehen davon aus, dass das BIP bis 2030 auf über sieben Billionen US-Dollar steigen wird. Zum Vergleich: 2024 lag es bei 3,9 Billionen.

Der indische Aktienmarkt hat sich in den letzten Jahren überdurchschnittlich entwickelt. Der MSCI India Index (gerechnet in Euro) erzielte zwischen 2014 und 2024 eine jährliche Rendite von 13,7 Prozent, deutlich über dem MSCI World. Die Marktkapitalisierung ist inzwischen größer als die von Deutschland, Frankreich oder Großbritannien, nur die Märkte in den USA, Japan und China sind noch höher kapitalisiert. Positiv ist die geringe Korrelation zu westlichen Märkten, was Indien zu einem idealen Diversifikationsziel macht. Die dominierenden Sektoren sind Finanzen, Konsum, IT und Energie. Unternehmen wie Reliance Industries, HDFC Bank und Infosys zählen zu den globalen Schwergewichten. 

Geopolitisch flexibel

Die Regierung um Premierminister Modi verfolgt eine Strategie der strategischen Autonomie. Sie pflegt enge Beziehungen zu den USA, bleibt aber auch ein wichtiger Partner Russlands – etwa durch den Import und die Weiterverarbeitung von Öl. Gleichzeitig engagiert sich Indien in multilateralen Formaten wie G20, BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) und QUAD (Quadrilateral Security Dialogue), einem sicherheitspolitisches Forum zwischen vier demokratischen Staaten (Indien, USA, Japan und Australien) im Indo-Pazifik. Neu-Delhi versucht sich dabei als Vermittler in globalen Konflikten. Diese geopolitische Flexibilität spricht dafür, dass sich Indien zu einem stabilen Investitionsstandort entwickelt – auch in Zeiten globaler Unsicherheit.

Trotz aller Fortschritte bleibt es ein Land der Gegensätze: Rund 30 Prozent der Bevölkerung leben in extremer Armut, und die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Zwar steigt die Alphabetisierung und die Anzahl akademischer Abschlüsse, doch viele Absolventen sind nicht arbeitsmarktfähig, weil es z.B. an Kommunikation oder kritischem Denken fehlt. Dieses sogenannte „Graduate Paradox“ bleibt ein strukturelles Problem. Es zeigt, dass Bildung allein nicht reicht, wenn sie nicht mit praktischen Fähigkeiten, Soft Skills und marktnaher Ausbildung kombiniert wird. Ein weiteres Problem sind Bürokratie und Rechtssicherheit: Langwierige Genehmigungsverfahren, föderale Fragmentierung und mangelnde Transparenz hemmen Investitionen. Der hohe Energiebedarf und die Abhängigkeit von Kohle stellen ökologische Risiken dar – auch wenn Indien bei erneuerbaren Energien große Fortschritte macht.

Indien bietet eine einzigartige Kombination aus Wachstum, Reformdynamik und geopolitischer Neutralität. Für Anleger ergeben sich vielfältige Chancen – insbesondere in den Bereichen Konsum, Technologie, Finanzen und Infrastruktur. Gleichzeitig erfordert ein Investment in Indien lokales Know-how, selektive Strategien und ein Bewusstsein für strukturelle Risiken. Wer Indien versteht, investiert nicht nur in eine Volkswirtschaft, sondern in die Zukunft eines globalen Akteurs. Für Anleger bieten sich verschiedene Einstiegsmöglichkeiten – von breit gestreuten ETFs bis hin zu sektoralen Fonds mit Fokus auf Technologie, E-Commerce oder Infrastruktur.

 

Vita Niro N. Bathija, HRK LUNIS
Nach dem Abschluss seines BWL-Studiums im Jahr 2009 begann Niro N. Bathija bei der Sparkasse Böblingen im Privatkundengeschäft. Anschließend wechselte er zur Deutschen Bank, zunächst ins Privatkundengeschäft in Mannheim und danach ins Private Banking in Frankfurt, wo vermögende Mandanten im Bereich Geldanlage betreut wurden. Daraufhin übernahm Bathija für vier Jahre als Investment Manager der Bethmann Bank in Frankfurt die Verantwortung für Mandanten mit einem Vermögen von über 10 Mio. Euro. Parallel dazu absolvierte er berufsbegleitend den Master in Finance & Accounting.
Im Anschluss arbeitete der 41ährige als Family Officer beim Spudy Family Office in Hamburg und Frankfurt, bevor er als Managing Director und Mitglied der Geschäftsführung bei der Unternehmensberatung passcon tätig war. Dort leitete Bathija mit einem Team von rund 200 Mitarbeitern internationale Projekte im Private Banking/Wealth Management und war in New York, Singapur und Mumbai im Einsatz. Seit rund sechs Jahren ist Niro N. Bathija als Senior Client Portfolio Manager bei HRK Lunis angestellt. Bathija reist regelmäßig nach Indien.